Große Exkursion: New York & Los Angeles
Stadtentwicklung in den USA

LEITWORT   REISEBERICHTE

Auf den Spuren von Stadtentwicklung, Kunst und einem Fluss, der seinem Namen nicht gerecht wird


Verena Trapp

Nachdem wir bereits in New York Stadtplaner getroffen hatten, nahmen wir auch in Los Angeles die Möglichkeit wahr, uns mit einer Expertin für Stadtentwicklung zu unterhalten. Unter wolkenlosem kalifornischem Himmel besuchten wir an der University of Southern California (USC) Deike Peters, eine frühere Lehrkraft der Technischen Universität Berlin, die sich am Standort Los Angeles mit Metropolenforschung befaßt. Sie stellte uns Peter Gordon, Profeßor für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft vor, der für uns über die moderne Stadt und ihre Entstehung referierte.
Wie ist es möglich, daß der Mensch seit Tausenden von Jahren auf der Erde lebt, sich die bedeutenden Veränderungen bezüglich des Bevölkerungswachstums und der damit einhergehenden Metropolisierung jedoch erst in den letzten 100 bis 200 Jahren abgespielt haben? Warum gibt es überhaupt Städte und warum werden ausgerechnet Städte zu Motoren des ökonomischen Wachstums? Peter Gordon erklärte dies damit, daß in Städten der Zugang zu Reßourcen (Technologie, Wißen etc.) weitaus beßer ist als auf dem Land und daß vor allem in den Städten der industrialisierten Länder Anreize und Chancen für Migranten aus weniger entwickelten Ländern geschaffen werden. Durch den Zuzug von Migranten ergeben sich neue soziale Strukturen und Netzwerke in den Städten, was wiederum zu einem Austausch von Ideen und Konzepten der Bewohner untereinander führt. Peter Gordon führte hier ein Zitat von Matt Ridley aus seinem Buch The Rational Optimist (2010) an: "I believe that at some point in human history, ideas began to meet and mate, to have sex with each other."
Den intereßanten Ausführungen Peter Gordons fehlte jedoch der Aspekt der innerstädtischen Segregation sowie der ökologischen Fragen, die in der Stadtentwicklung von großer Bedeutung sind. Zwar waren die Einblicke Peter Gordons sehr intereßant, jedoch waren sie für unser Verständnis von Stadtentwicklung zu einseitig.

Ein Rundgang mit Deike Peters auf dem Universitätscampus brachte uns das System der elitären USC näher. Die jährlichen Studiengebühren von 40.000$ sind zwar sehr hoch, jedoch ist die Betreuung der Studenten auch deutlich intensiver als in Deutschland, und wenn man die Räume und deren Einrichtung sowie die Gebäude auf dem Campusgelände betrachtet mag man erahnen, wofür zumindest ein Teil der Studiengebühren verwendet wird. Außagen über laufende Projekte in Bezug auf die Entwicklung des Molochs Los Angeles waren für uns sehr intereßant. Ein großes Problem der Stadt besteht nach wie vor in der Fokußierung auf das Auto. Auch den von Peter Gordon vernachläßigten ökologischen Aspekt der Stadtentwicklung sprach Deike Peters an, indem sie uns vom Center for Sustainable Cities erzählte, einer auf städtische Renaturierung bedachten Einrichtung, die jedoch erst seit kurzer Zeit an der University of California tätig ist. Im Vergleich zu Deutschland ist der Nachhaltigkeitsgedanke hier in Los Angeles erst spät angekommen, was sich mittlerweile auch darin zeigt, daß es Initiativen zum Wiederaufbau der Metro gibt. Im gleichen Moment fiel jedoch auf, daß die Radfahrer auf den Wegen des Universitätsgeländes ihre Fahrräder schieben. Dieser Zustand rührt daher, daß es öfter Unfälle mit Fußgängern gab und das Rektorat daher beschloß, den scheinbar einzigen nicht-autofixierten Einwohnern LA's ihr Recht auf eine ökologisch vertretbare Fortbewegungsweise zu nehmen. Der Höhepunkt der Ironie an diesem Radfahrverbot zeigte sich in den Wachmännern, die das Verbot umsetzen, denn genau diese Hüter sind auf dreirädrigen Segways unterwegs.

Watts, der Stadtteil in dem 1965 die Watts-Riots ausbrachen, war ein weiteres Ziel an diesem Tag. Dieses Viertel gehört zu den eher ärmeren in Los Angeles. In ihm spiegelt sich jedoch für viele das typische Bild Amerikas wieder. Mitten in diesem Stadtteil hat Simon Rodia ein außergewöhnliches Kunstwerk geschaffen, die Watts Towers. Heute ein Zentrum für Kunst und Kultur, baute Rodia die Türme, die an die Sagrada Familia von Gaudi erinnern, um sich selbst zu beweisen, daß er mehr als ein einsamer Trinker ist und um mit dem Bau seinem Leben einen Sinn zu geben. Und so schuf er aus scheinbar nutzlosen Gegenständen ein beeindruckendes Bauwerk, das seit seiner Vollendung 1954 ein Wahrzeichen des Stadtteils ist. Als im Jahr 1965 die Riots in Watts ausbrachen und weltweit in den Medien zu sehen waren, wurden auch die Türme des italienischen Einwanderers bekannt.
Als letzte Station des Tages be"suchten" wir den Los Angeles River. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten, da man den Fluß tatsächlich beinahe suchen muß. Bekannt aus diversen Filmen, wie "The Italian Job", hatten wir bereits vorher gewiße Anhaltspunkte, was diesen Ort angeht, jedoch kann man sich kaum vorstellen, wie dieses Rinnsal eine ganze Stadt mit Waßer versorgen soll. In einem kurzen Vortrag erfuhren wir, daß aufgrund der demographischen Veränderungen heute ein Aquädukt die Waßerversorgung der Stadt übernimmt, da der LA River zum einen zu wenig Waßer führt und zum anderen zu stark belastet ist. Doch auch das Aquädukt birgt seine Risiken für das ökologische Gleichgewicht, da das Waßer aus dem Mono-Lake gewonnen wird, deßen Waßerspiegel jedoch zunehmend sinkt. Abschließend ist festzustellen, daß Los Angeles nie zum Inbegriff des Urban Sprawl hätte werden können, wenn nicht Waßer aus dem Hinterland importiert worden wäre.
Und so zeigte uns dieser Tag wieder einmal, in welcher Zwiespältigkeit sich die Stadt Los Angeles befindet: zum einen die elitäre Universität in unmittelbarer Nähe zu einem sogenannten Problemviertel und zum anderen ein Fluß, der dieser Bezeichnung kaum gerecht wird. Doch eben diese Dualität macht das Wesen von Los Angeles aus und es lohnt sich, diesem auf den Grund zu gehen.



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